Bei dem Thema Mobbing handelt es sich meiner Meinung nach um ein sehr hochgespieltes und zum Teil auch sehr „künstliches“ anmutendes Problem. Die Bedeutung, die diesem Thema in der wissenschaftlichen und sozialpädagogischen bzw. –therapeutischen Literatur aber auch in der öffentlichen Diskussion zugeschrieben wird, spiegelt auch nicht annähernd dessen praktische Relevanz in den Unternehmen wider. Horrormeldungen wie „Die deutsche Wirtschaft verliert durch Mobbing jährlich mehrere Milliarden Euro pro Jahr“ sind durch nichts zu belegende, nicht einmal plausibel nachvollziehbare Phantastereien einiger „Möchtegern-Experten“.
Konflikte zwischen Menschen gab es immer, gibt es jetzt und wird es auch künftig immer geben. Unabänderbar! Warum sollte dies ausgerechnet in Unternehmen anders sein? Jede konkrete Arbeitsanweisung, jede auch nur kleine Kritik am Mitarbeiter, jede zusätzlich artikulierte Leistungsanforderung gerät in Gefahr, einem Mobbingverdacht ausgesetzt zu werden. Nein, so kann man m.E. mit diesem Thema nicht umgehen. Die wenigen „echten“ Fälle unzulässiger Ausgrenzung von Mitarbeitern werden auf diese Weise verniedlicht und nicht mehr ernst genommen. Sie sind dann nicht mehr von den anderen unterscheidbar, eine genauso wenig erwünschte Konsequenz.
Gleichzeitig suggerieren die meisten „Instrumente“, es gebe einen „Schuldigen“, nämlich den Mobber, und ein „Opfer“, nämlich den Gemobbten. Völlig ausgeblendet wird dabei, dass unausweichlich jede Konfliktsituation immer eine Angelegenheit aller Beteiligten ist, sie also immer unter systemischen, prozesshaften und individuellen Gesichtspunkten zustande kommt und entsprechend so bewertet werden muss. Wenn innerhalb eines Konflikts eine Eskalationsstufe erreicht worden ist, die mit „Mobbing“ gekennzeichnet wird, dann hat sich ja schon eine erhebliche Vorgeschichte abgespielt. Dann sind alle Beteiligten bereits lange in einem Teufelskreis gefangen, dessen Schwungräder sie alle (ja, auch der vermeintlich „Gemobbte“) immer wieder angetrieben haben. Jeder für sich mit seinen spezifischen und erheblichen Vorteilen. Jeder Beteiligte ist gleichzeitig „Täter“ und „Opfer“. Als „Täter“ steuert er seinen Anteil zu dieser Situation bei, unter dem der andere – als Opfer – leidet. Als „Opfer“ leidet er unter dem Teil, den der andere Beteiligte – als Täter – beisteuert.
Dieser „Verteilung der Verantwortung“ (ich spreche ausdrücklich nicht von „Schuld“!) werden die wenigsten Maßnahmen und Instrumente gerecht. Schon gar nicht eignet sich dieses Thema unter der dargestellten Sichtweise für mitbestimmungspflichtige oder tarifvertragliche Regelungen, wie es inzwischen Mode geworden ist zu fordern.
Arbeitsgerichte (bis hin zum Bundesarbeitsgericht) gehen in ihren bisher veröffentlichten Urteilen in der Regel leider von einer völlig andern Sichtweise aus – wohl aus erheblicher Unkenntnis über die tatsächlich sich abspielenden kommunikationspsychologischen Zusammenhänge. Anders ist es nicht erklärbar, wenn in Arbeitsgerichtsprozessen versucht wird, minutiös aufzurollen – und zu beweisen (!) – wann, warum und wie ein Konflikt entstanden ist, wer den „ersten Stein geworfen“ hat, wer als erster einen Konflikt hat eskalieren lassen, wer warum wann nicht eingegriffen hat u.ä. Dass durch eine solche Vorgehensweise das Mobbing-„Opfer“ in seiner Rolle nur noch bestätigt wird, verhindert gar dessen Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil am Zustandekommen der Situation.
Diese Art zeichnet aber seit einiger Zeit m.E. wohl die meisten („wissenschaftlichen“, oder soll ich besser sagen: „populärwissenschaftlichen“, oder noch treffender: „pseudowissenschaftlichen“) Veröffentlichungen zu diesem Thema aus. Unter kommunikationspsychologischen Gesichtspunkten ein untauglicher Versuch. Der juristische Gesichtspunkt ist m.E. völlig ungeeignet zur Aufarbeitung solch zwischenmenschlicher Konfliktsituationen, er ist ein Irrweg.
Deshalb ist Mobbing kein Thema für Juristen. In den meisten Organisationen ist Mobbing auch kein wirklich relevantes Thema. Das soll nicht heißen, dass es dort keine Konflikte gebe. Natürlich gibt es die. Hin und wieder sogar sehr heftige. Aber die sollten anders gelöst werden. [click to continue…]