Führungsgrundsätze – Fortschritt in der Unternehmenskultur? – Teil 2

Darüber hinaus muss gefragt werden, wie es mit der praktischen Umsetzung bestehender Führungsgrundsätze in die betriebliche Praxis bestellt ist. Wie werden Führungsgrundsätze „mit Leben“ gefüllt? Häufig leiden Führungsgrundsätze darunter, dass sie auf „Nimmerwiedersehen“ in den Schreibtischschubladen von Mitarbeitern und Führungskräften verschwinden oder in den Lagerregalen von Personalentwicklungsabteilungen verstauben. Es besteht offenbar eine erhebliche Diskrepanz zwischen der organisationalen Führungswirklichkeit und der „Verherrlichung“ von Führungsgrundsätzen in Hochglanzbroschüren. Nichts gegen Hochglanzbroschüren, wenn in ihnen ernst gemeinte und verbindliche Dinge glaubwürdig geregelt sind. Nichts gegen eine Außendarstellung auch der innerbetrieblichen Denkweisen, Philosophien und Wertmaßstäbe, wenn sie eine Entsprechung im Innern der jeweiligen Organisation haben. Aber, machen wir uns nichts vor: Führungsgrundsätze sind nicht verbindlich. Sie ziehen in der Regel eben gerade kein entsprechendes Führungsverhalten nach sich und werden eher selten von den Führungskräften und noch weniger von den Mitarbeitern akzeptiert. Sie sind üblicherweise eben nicht wirklich einklagbar. Mitarbeiter können das Unternehmen oder ihren Vorgesetzten nicht vor dem Arbeitsgericht auf Einhaltung der Führungsgrundsätze verklagen; jedenfalls ist uns nicht bekannt, dass es auch nur einen gerichtsanhängigen Fall zu diesem Thema gegeben hätte. Ebenso wenig werden Unternehmen einer Führungskraft, die sich nicht an die Führungsgrundsätze hält, eine Abmahnung erteilen. All dies wird in den üblichen Führungsgrundsätzen nicht thematisiert und führt zu einer schon von vornherein erkennbar geringen Akzeptanz, wenn nicht sogar zur Bedeutungslosigkeit. So kommt als Bumerang zurück, was im Sinne der Entwicklung der Unternehmenskultur gut gemeint war. Deshalb ist es im Zweifel besser, gar keine schriftlich fixierten Führungsgrundsätze zu haben als solche, die nur ein „Jammer-Dasein“ fristen und bestenfalls noch belächelt werden. Lieber ohne Antworten weitersuchen, als auf dumme Antworten hereinfallen! Es gibt genügend Beispiele von Führungsgrundsätzen, die demotivierend wirken, weil die Kluft zwischen veröffentlichtem Anspruch (und der damit verbundenen hohen Erwartung der Beschäftigten an ein entsprechendes Führungsverhalten) und erlebter Realität aus Sicht der Mitarbeiter (und vermutlich auch der Führungskräfte!) zu groß ist. Die erlebte Frustration wirkt demotivierend.

Wenn man sagt, dass man bestimmte Werte für wichtig hält und sie „leben“ will und gleichzeitig gehen diese Werte in der Praxis unter, dann klafft tatsächlich eine Lücke zwischen „Äußerung“ und „Innerung“. Dann stimmt das, was man als Botschaft in Führungsgrundsätzen nach außen trägt, nicht mit der tatsächlichen inneren (Werte-)Haltung überein. Diese Diskrepanz erleben Mitarbeiter dann als Mangel an Glaubwürdigkeit. Dieses führt dann zur Glaubwürdigkeitskrise von Unternehmen und Führungskräften.

Es reicht eben nicht aus, die (Arbeits-)Welt so zu beschreiben, wie wir sie gerne hätten: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Ohne Widersprüchlichkeiten, ohne Konfliktpotentiale, ohne persönliche Interessen. Durch eine solche Beschreibung allein ändert sich gar nichts. Schon gar nicht wird die Welt dadurch so, wie wir sie uns wünschen. Dazu bedarf es einer größeren Anstrengung.

Aber welcher?

Werfen wir einen Blick darauf, wie Führungsgrundsätze üblicherweise entstehen: Häufig kommt der Auftrag vom Vorstand oder der Unternehmensleitung: „Entwickeln sie für unser Unternehmen mal Führungsgrundsätze. Wir brauchen eine Vision, ein Leitbild.“ Schon hier ein erster Schwachpunkt: Kein externer Berater und keine Personalentwicklungsabteilung kann stellvertretend für einen Unternehmensleiter (Inhaber, Geschäftsführer, Vorstand) ein Leitbild, eine Vision entwickeln. Allenfalls können sie ihn darin unterstützen, selbst herauszufinden, was er wirklich will. Der zweite Schwachpunkt: Im Zusammenhang mit dem Thema Führung ist es schlicht falsch (und ich behaupte sogar: ein handwerklicher Fehler), mit der Formulierung von Führungsgrundsätzen zu beginnen. Führungsgrundsätze können das Ende, allenfalls vielleicht noch ein Zwischenschritt auf einem langen Weg der Beschäftigung mit dem Thema Führung sein. Aber niemals der Anfang! Nur ein solch systemisches, prozessorientiertes und sukzessives Herantasten an das Thema „Führungsgrundsätze“ bietet die Möglichkeit (nicht: die Gewähr), die Unternehmenskultur und das Führungsverhalten zu entwickeln und in die gewünschte Richtung zu beeinflussen (nicht: zu steuern).

Der erste Schritt ist also immer die gemeinsame Auseinandersetzung mit den Unternehmensleitern und den Führungskräften (und gerne auch den Mitarbeitern) über die Themen wie: Was bedeutet Führung in unserem System? Wie sehen wir selbst unsere Rolle als Führungskräfte? Wie sehen unsere Mitarbeiter unserer Führungsrolle? Wie wollen wir unsere Mitarbeiter führen? Welches Menschenbild haben wir von unseren Mitarbeitern? Welche Erwartungen haben Führungskräfte und Mitarbeiter aneinander? Wie halten wir es mit Selbstverantwortung? Was trauen wir unseren Mitarbeitern zu? Was bedeutet es für uns, Mitarbeiter ernst zu nehmen? Nehmen wir uns selbst ernst mit dem was wir sagen und veröffentlichen? Welchen Stellenwert hat die Kommunikation im Zusammenhang mit Führung? Wie halten wir es mit der Verbindlichkeit solcher Grundsätze? Eine solche Auseinandersetzung ist nicht mit einem Workshop geführt und erledigt. Hierzu bedarf es eines langen Atems und eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses. Erst wenn dieser Prozess wirklich „in Fahrt“ gekommen ist, erst wenn über die oben gestellten Fragen zumindest ein einigermaßen abgestimmter Konsens zwischen den Führungskräften und zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zustande gekommen ist, erst wenn die Führungskräfte die Antworten zu den Fragen verinnerlicht haben und „mit dem Herzen“ hinter einer solchen Philosophie stehen, erst dann ist überhaupt der Weg geebnet, um in einem zweiten Schritt die gemeinsamen Kernüberzeugungen der Führungsgrundsätze zu erarbeiten. Dies muss nicht unbedingt auch die Beteiligung an der redaktionellen Formulierung bedeuten. Diese kann auch von einem kleinen Kreis oder sogar nur von einer Person vorgenommen werden. Dann wirken Führungsgrundsätze nicht einfach als „von oben erlassen“. Dann sind sie Ausdruck eines im Rahmen einer Führungskräfteentwicklung gemeinsam entwickelten und erarbeiteten Selbstverständnisses von Führung. Dann können sie realitätsnah formuliert werden, fernab idealisierter Erwartungen. Dann können in ihnen auch die Führung innewohnenden Widersprüche thematisiert werden. Und dann können sie eben auch zu Papier gebracht und durchaus auch in Hochglanzbroschüren veröffentlicht werden. Das ist legitim und gut. Und immer noch keine hinreichende, aber wenigstens die notwendige Bedingung für erfolgreiche Führungsgrundsätze. Und erst dann kann man mit Führungsgrundsätzen sinnvoll weiterarbeiten und sie z.B. auch zum Inhalt von Beurteilungssystemen für Führungskräfte machen. Aber Vorsicht, das ist ein gesondertes Thema mit vielen weiteren Fragestellungen!

Häufig geht es in Führungsgrundsätzen um Werte wie Offenheit, Vertrauen, Kommunikation, Kundenorientierung etc. Unklar bleibt aber in vielen Fällen, was z.B. der Begriff „Offenheit“ konkret bedeutet. Wie „offen“ will das Unternehmen (also auch die Vorstände, Geschäftsführer, Inhaber, Führungskräfte) gegenüber den Mitarbeitern, gegenüber den Kunden, gegenüber der Öffentlichkeit sein? Wo ist die – häufig notwendige und sinnvolle – Grenze von Offenheit? Wie will das Unternehmen an dieser Grenze mit Offenheit umgehen? Dies alles sind Fragen, die häufig nicht beantwortet – ja, vielfach nicht einmal gestellt – werden. Dieses sind Fragen, über deren Brisanz sich die Führungskräfte oft genug nicht bewusst sind. So wird dann in Führungsgrundsätzen – reichlich naiv – formuliert: „Wir wollen offen kommunizieren“. In der Praxis gibt es dann doch Vertrauliches, Geheimnisse und Grenzen der Offenheit. Vieles ist dann „… nur für die Führungskräfte persönlich…“ und „… nicht zur Weitergabe…“ bestimmt. Und wenn Mitarbeiter diese Grenze als Geheimniskrämerei erleben, ohne über die Notwendigkeit von Grenzen auch gesprochen zu haben, dann klappt die Glaubwürdigkeitsfalle zu. Dann entstehen Gerüchte, Unsicherheit macht sich breit, viel Energie geht auf Mitarbeiterseite verloren, weil man beginnt, sich mit den Gerüchten und den Unsicherheiten zu beschäftigen.

Eine ganz andere Frage stellt sich in diesem Zusammenhang bei der Erarbeitung von Führungsgrundsätzen außerdem. Im Rahmen der mikropolitischen Strategien zur Durchsetzung individueller oder organisatorischer, also unternehmensbezogener Interessen mag eine solche „Gerüchteküche“, solche Geheimniskrämerei von Führungskräften ja ganz bewusst als funktionales Element zur Machtsicherung eingesetzt werden. Wenn man sich dann in Führungsgrundsätzen zu Werten wie Offenheit und Vertrauen öffentlich bekennt, mag dies auch zur Verschleierung der eigentlichen Machtstrukturen und Machtmotive dienen. Denn bei den Machtmotiven gilt, sie gleichzeitig zu verfolgen und zu verheimlichen. Tue es, aber rede nicht drüber. Auch das mag eine (legitime?) Funktion von Führungsgrundsätzen sein. Und auch hier läge eine Möglichkeit, diese Widersprüchlichkeit in solchen Regeln zu thematisieren und zu beschreiben, wie man damit umgehen will.

Das Fatale oder das Eigenartige an Führungsgrundsätzen ist eben gerade, dass sie in der Lage sein müssten, die unterschiedlichen Spielregeln im Unternehmen abzubilden. Das geht aber nur in der Balance von partiell im Widerspruch zueinander stehenden und sich gegenseitig kontrollierenden Werten. Führungsgrundsätze müssen also vom Inhalt und von den Formulierungen her so gestaltet sein, dass sie diese Widersprüchlichkeiten aufgreifen, so dass Führungskräfte darin einen Weg für sich finden, der den Interessen des Unternehmens / der Organisation, den Interessen der Mitarbeiter und den eigenen Interessen der Führungskraft ausbalanciert Rechnung trägt.

Auf der oben diskutierten philosophischen Basis und vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrungen stelle ich die unter „Führungsgrundsätze“ hinterlegten von mir formulierten Führungsgrundsätze zur Diskussion. Dabei handelt es sich um die Abstracts, um die zusammengefasste Essenz meiner Überlegungen. Nicht, damit sie abgeschrieben und ungeprüft 1:1 übernommen werden. Sie sollen vielmehr als Anhaltspunkte dienen, um in der oben beschriebenen Weise vorzugehen und eigene, auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittene Führungsgrundsätze zu entwickeln.

Autor: Claus-Peter Manzel – Copyright 11/2011 beim Autor.

Wenn Sie Interesse daran haben zu erfahren, wie im oben diskutierten Sinn formulierte Führungsgrundsätze konkret und ausführlich beschrieben aussehen können, setzen Sie sich gerne mit mir in Verbindung. Ich biete Ihnen auch gern meine Beratung bei der firmenindividuellen Erarbeitung und Implementierung von Führungsgrundsätzen an.

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