Führungsgrundsätze – Fortschritt in der Unternehmenskultur? – Teil 1

Führungsgrundsätze fristen in deutschen Unternehmen ein ambivalentes Dasein: ironisch-zynisch verdammt oder gleichgültig-phlegmatisch in den Schubladen versauernd bei den Führungskräften und Mitarbeitern; überschwänglich in Hochglanzbroschüren und Sonntagsreden gefeiert bei den Initiatoren. Jedoch: In kaum einem Unternehmen erfüllen sie den einmal mit ihnen beabsichtigten Zweck, tragen die mit ihnen verbundenen Hoffnungen Früchte. Diese Erkenntnis ist an sich nicht neu, Erfahrungen in diese Richtung werden viele schon gemacht haben. (Eine Auseinandersetzung und pointierte Kritik gibt z.B.: Neuberger, Oswald: Führung, Stuttgart 1984). Umfragen bestätigen diese These immer wieder neu. Trotzdem glauben viele Entscheider in den Unternehmen, ihre Personalentwicklungsabteilungen oder externe Berater mit der Einführung derartiger Führungsgrundsätze beauftragen zu müssen.

Warum?

Führungsgrundsätze haben eine lange Tradition. Die früheren „Fabrik- und Betriebsordnungen“ können durchaus als deren Vorgänger angesehen werden (vgl. z.B. die Beispiele in Kuczynski, J.: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Band 2, Berlin (Ost) 1962). Ja, sie lassen sich sogar bis ins alte Testament zurückverfolgen. Immer dienten solche Regelungen als Instrumente der Verhaltenssteuerung. Bei Führungsgrundsätzen geht es dabei um Standardisierung, um Konformität (dieser Begriff geht in diesem Zusammenhang zurück auf: Türk, K. Führung in Arbeitsorganisationen, 1982) im Bereich des Führungsverhaltens zu erreichen. Damit wären wir beim „Zweck“ von Führungsgrundsätzen angelangt.

Normalerweise sollen Führungsgrundsätze in zwei Richtungen wirken: Zum einen sollen sie der imagefördernden Außendarstellung des jeweiligen Unternehmens dienen. „Seht her, hier stellt sich ein modernes, seine Mitarbeiter wertschätzendes Unternehmen dar“. In werbewirksamer Form wird dann die Philosophie der Personalpolitik und der Führung in überschaubaren Schlagworten zum Besten gegeben. Zum anderen sollen sie nach innen wirken und über zur Norm erhobene Grundsätze ein einheitliches Verhalten der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern erreichen oder zumindest postulieren.

Üblicherweise „aus der Praxis für die Praxis“ (so Oswald Neuberger) entwickelt und formuliert, enthalten Führungsgrundsätze überwiegend Aussagen über die grundsätzliche Philosophie des Unternehmens zum Thema „Führung“ und / oder zum Thema „Umgang mit Mitarbeitern“. Sie konzentrieren sich normalerweise auf die organisatorische Beziehung zwischen dem Unternehmen (vertreten durch deren Repräsentanten: den Führungskräften) und dessen Mitarbeitern. In diesem Kontext enthalten die meisten Führungsgrundsätze Aussagen zu den folgenden Themenbereichen: Zielsetzung, Delegation, Information und Kommunikation, Kooperation, Entscheidung, Verantwortung, Beurteilung, häufig auch zu den Themen Motivation und Konfliktregelungen.

Da Führungsgrundsätze schon vom Prinzip her nicht geeignet sind, individuell differenziertes und situativ abgestimmtes, also einzelfallbezogenes Führungsverhalten zu beschreiben, werden sie eher allgemein, situationsoffen, generell normierend, als „Soll“- oder „Kann“-Regelung formuliert. Häufig genug scheint – nicht nur zwischen den Zeilen – die Vision (oder die Utopie) eines idealisierten Führungsverhaltens die Feder bei der Formulierung geführt zu haben. Hin und wieder waren es wohl auch die mehr oder weniger intelligenten „Geistesblitze“ einiger Unternehmensinhaber, die bei der Formulierung Pate standen (so z.B. Axel Springer: „Ich halte Erfolg für eine Eigenschaft…“ in:http://www.axelspringer.de/artikel/Die-Fuehrungsgrundsaetze-der-Axel-Springer-AG_40848.html).

Die Inhalte von Führungsgrundsätzen lassen sich – wenn wir sie einmal analytisch betrachten – dann auch sehr schnell kritisieren. Das betrifft insbesondere die oben bereits angedeutete systemimmanente Grundproblematik: Die Regeln sind normalerweise so allgemein und vage formuliert, dass sie kaum nutzbare Hinweise auf anzustrebendes Führungsverhalten liefern können. Sollten sie – andererseits – tatsächlich exakt und eindeutig formuliert sein, so produzieren sie lediglich einen starren Handlungsrahmen, der keiner Situation wirklich gerecht wird. Führungssituationen werden eben immer erst durch die Beteiligten aktuell sozial konstruiert. In der Mehrzahl der Fälle weisen Führungsgrundsätze dann auch nur auf Selbstverständlichkeiten hin, wirken häufig als Alibi (…“Wir haben unsere Führungskräfte entsprechend eingenordet…“) oder scheinen nur wirkungslose Lippenbekenntnisse zu sein. Insofern darf bezweifelt werden, dass mit ihnen das Verhalten von Führungskräften tatsächlich gesteuert werden kann (vergleiche dazu ebenfalls: Neuberger, Oswald: Führung, Stuttgart 1984, Seite 15-22, ergänzend: Gabele, Eduard, Führungs- und Unternehmensgrundsätze – Ein Spiegelbild innerbetrieblicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, in: Gabele, Eduard / Liebel, Hermann / Oechsler, Walter A. (Hrsg.): Führungsgrundsätze und Mitarbeiterführung, Wiesbaden 1992, Seite 15-58, hier insbesondere Seite 46-51). Ja, es ist sogar fraglich, ob sie als verbindlicher Orientierungsrahmen für Führungsverhalten gelten können.

Autor: Claus-Peter Manzel – Copyright 11/2011 beim Autor.

… wird fortgesetzt.

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